Freitag, 23. September 2016

Nachtrag zum 15. und 16.09. 2016: Wenn nur die Kohle zählt...


Nach dem gestrigen Tag waren wir äußerst gespannt, nun mit eigenen Augen die von der Kohleindustrie betroffenen Regionen zu sehen.
Matthews fuhr mit uns zunächst in ein informal settlement, das direkt an einer kleineren noch aktiven Mine liegt. Schon beim Aussteigen aus dem Bus waren wir geschockt: Die Mine und die Siedlung werden lediglich durch eine staubige Straße getrennt, auf der Kohlelastwagen im 5min-Abstand durchfahren. Nicht einmal ein einfacher Zaun begrenzt den Bereich der Mine. Bei den ersten Atemzügen wird uns bewusst, wie stark die Luft durch den Kohlestaub verunreinigt ist - das Atmen fällt schwer. Die Atmosphäre zwischen den einfachen Hütten aus Wellblech und Steinen ist bedrückend. Rasta, ein relativ junger Mann, schaut uns aus trüben Augen an. Er ist wie die allermeisten hier arbeitslos. Die Chancen, einen Job zu bekommen, sind im ganzen Ort sehr gering. Um eingestellt zu werden, muss man einen medizinischen Test betehen, da Arbeitgeber finanzielle Verluste durch die Krankheiten ihrer Mitarbeiter verhindern wollen. Diesen Test besteht aber keiner der Anwohner hier. Zu verschmutzt ist die Luft, Lungenprobleme und Krankheiten wie Tuberkulose und Asthma sind weit verbreitet. Einige, wie auch Rasta, haben Nierenprobleme aufgrund des stark verschmutzen Wassers. Kein sauberes Wasser zu haben, ist eines der größten Probleme vor Ort. Durch den Abbau der Kohle wird Pyrit-haltiges Gestein freigelegt, wodurch der pH-Wert des vorbeiströmenden Wassers stark sinkt und somit toxische Schwermetalle ausgewaschen werden. Wie wir vor Ort sehen, kümmern sich die Minenbetreiber dieser Mine nicht darum, das durch saure Grubenwässer verunreinigte Wasser aufzubreiten. In einigen ausgetrockneten Becken sieht man die weißen Ablagerungen der Sulfate. Kinder toben hier umher. Sie verbringen die meiste Zeit auf den Hügeln aus Kohleresten, einen anderen Platz zum Spielen haben sie nicht. Matthews fragt eine Frau, ob sie uns ihre Hütte zeigen könnte. 'Nein', sagt sie, sie habe keine Zeit, sie müsse noch im stillgelegten Teil der Mine nach Kohleresten suchen, um heute Abend zu kochen. Die Menschen hier haben keinen Stromanschluss. Sie benutzen die mühsam gesammelten Kohlestückchen, um ein Feuer zu machen. Der beißende Rauch dieser Feuer schwebt durch die Siedlung. Und die Perspektivlosigkeit, die aus den Augen der Menschen blickt, ist schwer zu ertragen.


Die zweite Siedlung, die Mattews uns zeigt, wirkt genauso trostlos. Hier wurde einst unterirdisch Kohle abgebaut und die Mine schon längst vom Betreiber verlassen. Auch wenn gesetzlich vorgeschrieben, wurde der Minenbereich nicht rekultiviert. Die leeren Schächte stürzten ein, unterirdisch lodern immer noch Feuer und einige Anwohnerversuchen illegal in den restlichen einsturzgefährdeten Schächten die letzten Reste verwertbarer Kohle abzubauen. Überall sieht man tiefe Löcher im Untergrund. Erst in diesem Monat sei ein Schacht eingestürzt und hat einen Anwohner verschüttet, erzählt uns ein Mitarbeiter Matthews Organisation. Wir treffen drei vom Kohlestaub verdreckte Jungs im Alter von circa 10 Jahren. Einer erzählt uns, wie er beim Spielen in ein "sinkhole" gefallen ist und sich an den Beinen Brandwunden zuzuog. Solche Fälle sind sehr häufig - und dennoch ist bei einem solchen Vorfall kein Krankenwagen, keine Krankenschwester oder auch nur Verbandsmaterial vorhanden! An diesen kleinen Stellen setzt SAGRC an: Erste-Hilfe-Kästen werden angeschafft und aus jeder community einige Bewohner kostenlos geschult, Erste Hilfe zu leisten. Auch wenn uns ein solcher ´Fortschritt´ im Anblick dieser großen Katastrophe wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheint, sind das die wichtigen Mittel, wie das Leben der Bevölkerung vor Ort auf direktem und schnellen Wege verbessert werden kann.


Am nächsten Morgen besuchen wir mit Matthews eine weitere stillgelegte aber nicht rehabilitierte unterirdische Kohlemine. Seit den 1930er Jahren lodern hier unter der Erde Flözbrände - unvorstellbar! Wir spüren die Hitze, die vom Boden an unseren Beinen heraufkriecht und sehen in einem eingestürzten Schacht den Fels sogar rot-orange glühen. Hier direkt wohnen zwar keine Menschen, doch führen über das Feld Trampelpfade, die viele Leute als Abkürzung und Kinder als Spielplatz nutzen. Immer wieder wird jemand vermisst und man geht davon aus, dass sie in eines der vielen Löcher gestürtzt sind. Manche Bauern lassen ihr Vieh aus Mangel an Alternativen hier grasen. Fatal, denn die hier wachsenden Pflanzen sind längst durch Schwermetalle verseucht, welche sich dann im Fleisch des Viehs anreichern und im Endeffekt den Menschen, die das verseuchte Fleisch essen, schaden. Dieses hochgefährliche Gebiet muss abgezäunt werden, fordert SAGRC von der Regierung, doch seit Jahren tut sich nichts. Unsere anfängliche Betroffenheit schlägt mehr und mehr in Wut um!
An weiteren Stellen sehen wir mit eigenen Augen die wahnsinnigen Umweltschäden durch den Kohleabbau. Im Umland der Minen tritt stark saures und mit Schwermetallen belastetes Wasser aus und fließt direkt und unbehandelt in die Flüsse. An ausgetrockneten Flussbetten und Teichen stechen einem die weißen Ablagerungen der Sulfate ins Auge, fast wie eine unwirkliche Schneelandschaft. Es stinkt irgendwie nach Chemielabor.


Wir gehen weiter und sehen in der Ferne plötzlich fünf nackte Kinder wegrennen. ´Die kennen uns schon´, erzählt Matthews, ´Wir haben ihnen schon oft gesagt, dass sie hier nicht baden dürfen, aber es sind eben Kinder.´ Als wir sehen, wo diese Kinder gerade aus dem Wasser gestiegen sind, wollen wir es nicht glauben. Eine dreckige Brühe, mit extrem niedrigen pH-Wert und stark mit Schwermetallen belastet. Leere Plastikflaschen und mit Luft gefüllte Tüten dienen den Kindern als Schwimmflügel. Dass ein regelmäßiges Baden in diesen Teichen schwere gesundheitliche Folgen hat, ist mehr als offensichtlich.
Auf der Heimfahrt fahren wir an dem noch im Bau befindlichen Kohlekraftwerk Kusile vorbei: Wenn es ans Netz geht, wird es eines der größten Kohlekraftwerke der Welt sein.  Um dieses Kraftwerk zu speißen, wird in einer neuen Mine von gigantischem Ausmaße Kohle abgebaut.


In diesem Moment wird uns bewusst: Die Zerstörung der Umwelt geht weiter, ebenso die Nichtbeachtung der Menschenrechte in dieser Region! Irgendwie stehen wir ratlos und hilflos da - die Problematik vor Ort ist zu vielschichtig und komplex!
Abends haben wir bei einem kulturellen Abend mit Matthews Mitarbeitern und Nachbarn die Gelegenheit, noch etwas Schönes von unserem Besuch in eMalaheni mitzunehmen. Ein lustiger Abend mit bewunderns- und unterstützungswerten Menschen - und doch bleiben uns vor allem die aussichtslosen Blicke der Anwohner der verlassenen Minen, die Hitze der unterirdischen Brände und auch ein wages Schuldgefühl in Erinnerung: So ist es ja schließlich auch Deutschland, das tonnenweise Kohle aus Südafrika importiert!



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